Allahu akbar!

Ein Bericht über ihre Arbeit von Sr. Dagmar Plum MMS

Frauen für Frauen

Ich befinde mich in einer Abschiebungshaft. Vor mir sitzt eine schluchzende nordafrikanische Frau, die sich nicht mehr beruhigt. Ich sehe, dass ich hier im Augenblick nicht viel tun kann und verspreche, morgen wieder zukommen. Am nächsten Tag begrüße ich sie. Sie bricht in Tränen aus. Dieses Mal will ich mich nicht so leicht abwimmeln lassen und warte. Nach einer Weile fragt sie mich, was ich von ihr wolle. Nach und nach erzählt sie mir stockend ihre Geschichte.

Sie war als Kind (sie war ja nur ein Mädchen!) von ihren Eltern an ein Kinderbordell verkauft worden, wo sie mehrere Jahre an einer Wand angekettet verbrachte. Die Kunden stolzierten vorbei und suchten sich ein Mädchen für ihren Sexterror aus. Die Dolmetscherin, die ich bei mir hatte, musste ab und zu unterbrechen, um zu weinen. Ich blieb äußerlich ‚hart‘. Ich brauchte Informationen und die Zeit war knapp.

Mit 17 war sie schon viel zu alt für ein Kinderbordell und wurde in einen Nachtklub nach Syrien verkauft. Kaum war sie dort angekommen, fand dort eine Polizeirazzia statt. Sie wurde nach fünftägigem Aufentalt im Gefängnis auf die Straße gesetzt und sollte nach Hause zurückkehren. Ohne Geld!

Es dauerte mehrere Jahre bis sie Norwegen erreichte, um dort einen Asylantrag zu stellen. Unterwegs hatte sie mit der einzigen Münze gezahlt, über die sie noch verfügte: mit ihrem Körper. In ihrem Asylantrag stand, dass sie ‚Probleme‘ mit der muslimischen Familie hatte. Der Antrag wurde abgelehnt, ebenso ein Asylfolgeantrag. Von da an lebte sie im Untergrund und versuchte, sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser zu halten.

Eines Tages erreichte sie das Gerücht, dass es in Italien gegen entsprechende Gegenleistung fälschungssichere Papiere gab. Sie versuchte es. Da sie aber nicht genug Kunden bediente, reichte es für einen Personalausweis. Sie hielt ihn für echt. Die deutsche Polizei fasste sie an der dänischen Grenze und brachte sie hinter Gittern – wie in Syrien- war sie wieder eingesperrt - wie eine Kriminelle. Der Aufenthalt hinter Gittern löste eine schwere Retraumatisierung aus. Sie konnte nicht schlafen, hatte tiefe Depressionen, hatten Magen-, Herz-,und Kreislaufbeschwerden.

An allem, was ihr widerfahren war, gab sie sich selbst die Schuld. Als sie mir sagte, dass Allah sie fallen gelassen habe, hatte sie einen Tiefpunkt erreicht. Ich sagte ihr, dass sie die Unschuldigste in dem ganzen Drama sei. Ihre Eltern, die Männer, die sie verkauft und missbraucht haben, sind die wahren Schuldigen. Sie fing wieder an zu schluchzen.

Dann erzählte ich ihr von den Möglichkeiten, die es Europa jetzt noch gäbe. Das wichtigste und das schwerste, das ich von ihr verlangte, war, dass sie vor Gericht die Wahrheit beim Namen nennen müsse, und zwar im Detail. Ich würde eine Frauenorganisation in Norwegen bitten, ihr dabei zu helfen. Es war ihr unmöglich sich vorzustellen, dass sie noch zu retten sei. Es war mir klar, dass sie sich nicht bei den norwegischen Behörden mit den Papieren, die ich für sie geschrieben hatte, melden würde. Aber der Frauenorganisation in Norwegen hatte ich die gleichen Papiere geschickt.

Zwei Tage später wurde sie aus der Haft entlassen. Das Asylverfahren wurde wieder aufgenommen. Über ein Jahr später erhielt ich einen Anruf: ‚Allahu akbar! Ich darf in Norwegen bleiben. Deine Kirche hat mir geholfen‘.

Als Anna Dengel die Missionsärztlichen Schwestern gründete, hatte sie wohl kaum daran gedacht, dass in Europa Frauen und Kinder zur Massenware für die Sexmärkte weltweit entmenschlicht, verramscht und vernichtet würden. Während andere europäische Staaten versuchen, Prostitution zurückzudrängen, verdient man in der BRD Milliarden damit. Bordellbetreiber etc. sind Geschäftsleute, Unternehmer, die sich auf allen Ebenen der Gesellschaft blicken lassen können. Dort mischen sie mit, bei Justiz, der Wirtschaft, der Polizei und den vielen Protegés, die dafür sorgen, dass das Geschäft floriert.

Das Rotlichtmilieu ist nicht mehr nur die traditionelle Schmuddelecke für kriminelle Geschäfte, sondert bildet eine in sich geschlossene Parallelgesellschaft mit eigenen Gesetzen und Gepflogenheiten. Dass sich hinter vielen Fassaden der Clubs, Erotic Centers, Wellness-Paradiesen und privaten Etablissements oft das nackte Elend verbirgt, geben wir im ‚Europa der Werte‘ nicht gerne zu. Aber die Steuergelder, die aus dem Gewerbe in Milliardenhöhe fließen, die nehmen wir natürlich dankbar an.

In 2009 gründete eine kleine Zahl von Schwestern RENATE=Religious in Europe Networking in Trafficking and Exploitation www.renate-europe.net, ein Netzwerk gegen Menschenhandel und Ausbeutung. Die Missionsärztlichen Schwestern waren von Anfang an dabei. Inzwischen sind wir in über 20 Ländern, hauptsächlich in Osteuropa vertreten. Von dort kommen viele der Armutsprostituieren, die versuchen, ihre Familien in der Heimat durchzubringen.

Deutschland ist einem Spiegelbericht zufolge DAS Bordell Europas. Ehrlich gesagt stinkt mir das ganz gewaltig. Niemand macht sich beim zähen Kampf gegen Menschenhandel und Sexterror keine Illusionen. Aber die Unterstützter/innen sind schon am Werk. Sogar Papst Franziskus ist dabei. Wir könnten angesichts der Flüchtlingswellen, bei denen jede Menge Menschen verkauft und ausgebeutet werden, nicht nur Frauen, sondern auch Männer gut gebrauchen.

Sr. Dagmar Plum

.